GOA-Texte:Klingenbarriere

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Trotz der extremen Hitze dieses besonders sonnengeküssten Sommers war es unter dem kleinen Vordach kühl. Annaïg war müde. Ihr fortgeschrittenes Alter ließ sie die sommerlichen Vormittage nur schwer ertragen und sie hätte gerne ein kleines Nickerchen gemacht. Doch sie zwang sich, die Augen offen zu halten und beobachtete stolz ihren Enkelsohn.
Der Junge stand mehreren Kindern des Dorfes gegenüber. Sein Oberkörper und seine Füße waren nackt, die Haut unter dem brennenden Himmelskörper glänzend - so stand er wie eine Bronzestatue in einem göttlichen Garten. Fest in seinen Händen hielt er zwei kurze Stöcke und er taxierte seine Feinde mit einem festen und stolzen Blick, der für ein so junges Kind selten war.

"Gib mir Reneas Puppe, Fergal, oder ich schlag dir den Kopf ein !"

Die Kinder feixten im Einklang und der größte von ihnen, namentlich Fergal, musterte Padraig abfällig.

"Er ist verliebt ! Er ist verliebt !"

"Stimmt nicht ! Gib mir die Puppe ! Außer wenn sie dir dabei hilft, nachts keine Angst mehr vor Monstern zu haben ? !"

Der große Tollpatsch riss bei der letzten Bemerkung seine Augen auf. Dicht gefolgt von seinen Schergen stürzte er sich mit wutverzerrtem Gesicht auf den Jungen, der ohne mit der Wimper zu zucken seine Stellung hielt.
Padraig fing Fergals Angriff mit der Schulter ab, drehte sich auf seinem Standbein, traf den Jugendlichen in die Flanke, wobei er ihm noch einen doppelten Schlag mit seinen Stöcken hinter die Ohren versetzte. Doch schon versuchten vier andere Hände ihn zu fassen. Weil er sich auf die Knie fallen ließ, griffen die Hände seiner Gegner ins Leere, doch ihre Knie machten eine unsanfte Bekanntschaft mit den Holzstöcken. Dennoch hatte er nicht die Zeit, wieder aufzustehen, weil Fergal ihn packte und ein kleiner Rothaariger aus dem benachbarten Dorf auf ihn losgestürmt kam, worauf die Schläge nur so hagelten und es ihm unmöglich war, ihnen auszuweichen.
Mit Blutergüssen und Kratzwunden bedeckt kam Padraig wieder zu seiner Großmutter. In seiner Hand hielt er die Puppe, die er trotz seiner Niederlage ergattern konnte. In seinem Blick war keine Freude, auch kein Schmerz, er war nur voll Konzentration.

Padraig zog seine Tunika fester. Ein dutzend Jahre waren vergangen, seitdem er sein Dorf verlassen hatte. Eine wachsende Furcht machte sich in seinen Gedärmen breit... Was würde er hier vorfinden... Die beiden gekrümmten Klingen an seiner Seite und seine schwere Lederweste verrieten ein Leben voll Selbstzucht, Ausdauer und Mut - das Leben der Schwertmeister aus Hibernia seitdem der Krieg ausgebrochen war. Er näherte sich dem alten Gemäuer im Zentrum des Dorfes. Von schweren Eichentüren geschützt nahm die große Behausung immense Tischgesellschaften von Dorfbewohnern zu besonderen Anlässen auf... Mit einem tiefen Atemzug öffnete er einen der Türflügel. Stille, alle Blicke richteten sich auf ihn...
"Padraig !" rief ein kräftiger Kerl freudig aus. Dann hatte die Freude kein Halten mehr. Alle standen auf und kamen, um ihn zu umarmen. Fergal, der noch genauso stattlich war wie damals war, war der erste, der ihn so stark umschloss, dass er beinahe erstickte. Seine Cousins waren da, seine Nachbarn, der Rotschopf, alle Freunde aus seinen Kindheitstagen... und Renea. In ein helles Gewand gehüllt glich sie dem Sommermond. Sie war hinreißend. Sie war die letzte, die zu ihm kam und die erste, die nichts sagte. Sie nahm nur seine Hand und führte ihn fort.
Sie traten aus dem Gebäude heraus und schlugen schweigsam sich bei den Händen haltend den Weg zu den Getreidefeldern am Dorfeingang ein. Kein Wort fiel, doch Padraig erriet im sanften Blick seiner ewigen Geliebten tausend Versprechungen. Aus dem Augenwinkel erahnte Padraig die Anwesenheit des Spähers. Selbst an die Wachtürme gewohnt, räusperte er sich, um ihre Anwesenheit kundzutun.

Der Späher wendete sich ihnen mit entsetztem Blick zu.
« - ALBION ! ! Rief er aus, bevor er in einem Schwarm von Pfeilen zusammenbrach. Padraig nahm Renea bei der Hand und stürzte ins Dorf. Schon hörte er hinter sich das charakteristische Klicken der schweren albionischen Rüstungen, schon sah er seine Geliebte von Pfeilen durchbohrt, oder schlimmer noch : von ruchlosen Söldnern lebend gefangen. Ein Moment hätte ausgereicht, um eine friedvolle Nacht in ein Chaos aus Flammen und Eisen zu wandeln. Kinder weinten, Frauen schrieen, und die Truppen aus Albion drangen von allen Winkeln in das Dorf ein.
Vor der Tür des zentralen Gemäuers stehend, verstand Padraig sofort, dass die Kugel eines Tribocks den zweiten Ausgang eingerissen hatte. Mit einem schnellen Blick stellte er fest, dass sich die Männer nicht mehr in ihm befanden und machte eine Kehrtwendung, doch zu spät : fünf Männer in Rüstungen kamen auf ihn zu gerannt. Renea ins Innere des Gebäudes stoßend, nahm er einen festen Stand ein, zog seine beiden gekrümmten Schwerter und fixierte seine Gegner mit einem Blick, den er seit seiner Kindheit nicht verloren hatte. Ausweichend, blockierend, Klingen- und Stichschläge verteilend, hielt Padraig den fünf Albionern eine Vorstellung der hibernischen Todestänze. Kaum war der letzte Gegner besiegt und zu Boden gegangen, kamen neue in immer größerer Anzahl angerannt, um ihn zu ersetzen. Eine Reihe Hellbarden richteten sich gegen ihn und auf einen Schrei war sein Tod unausweichlich. Einen Moment lang schien die Zeit aufgehoben zu sein und er unterbrach seinen zügellosen Kampf. Hinter ihm nahm er Renea wahr, hinter ihr andere Frauen und Kinder...
Vor ihm waren die Angreifer, immer niederträchtiger, immer zahlreicher...
Irgendwo ein wohlwollender Blick, der Blick seiner Großmutter, die von den zu langen Tagen der hibernischen Sommer müde war...

Fergal und die Dorfbewohner hatten sich mit Lanzen, Forken und Waffenröcken ausgestattet. Sie rannten zur Mitte des Dorfes, um ihre Familien aus der Falle zu retten, die bald zuschnappen würde.
Sie sahen die Albionier angreifen. Und zum Angriff wiederkehren ! Und sie sahen, wie ihre Äxte und Schwerter an etwas, das einer wahren Barriere glich, abprallten... Eine Barriere von Klingen. Nun griffen die Dorfbewohner die Eindringlinge an.

Und Padraig tanzte... vor seiner Großmutter, vor seinen Ahnen...