GOA-Texte:Trauer eines Halbogers

Aus Daocpedia

Dies ist ein offizieller Text, der von GOA veröffentlicht wurde.
Eine Übersicht über alle von der GOA-Homepage gibt es im Artikel über GOA Texte.
Die jeweilige Originalversion findet sich auf der europäischen Communityseite von GOA.



Einige wenige Fackeln an den Wänden versuchten vergeblich, den in den Stein geschlagenen Raum zu erhellen. Schatten tanzten im Rhythmus ihrer Flammen. Es war schon einige Wochen her, als ich das letzte Mal hierher gekommen war und ich hatte jeden Tag mehr das uns gegebene Geschenk genossen. So schritt ich voran, während mich die Erinnerung einnahm. Ich kannte jeden Stein, jede Bergspalte, die uns damals davon träumen ließ, was Freiheit wirklich ist.

Der Alte war auf das getrocknete Stroh gebettet, das ihm vorher als Bett gedient hatte. Ein einfacher Schleier bedeckte seine Blöße. Die Frauen waren hinausgegangen. Der Augenblick gehörte uns, uns und dem Schamanen.

"Haam ? Bist du es ?"

Seine Stimme war schwach und er keuchte, aber seine Augen leuchteten immer noch genau so wie in den Zeiten, als ich noch ein Kind war. Ich bewunderte ihn, wahrscheinlich jetzt noch mehr als damals. Er hatte mir beigebracht, wer ich war. Meine Eltern hatten dazu keine Zeit gehabt, da sie zu früh verschwunden waren.

"Ja, ich bin hier. Ich bin gekommen, sobald ich davon erfahren habe."

"Es ist gut zu wissen, dass du zu meiner letzten Reise da sein wirst. Hast du sie mitgebracht ?"

Ich versuchte, so gut wie möglich zu lächeln, während ich mit einem Nicken auf seine Frage antwortete. Gleichzeitig legte ich auf seine Brust die kleine Statue, die ich geschnitzt hatte, als ich ein Kind war.

Ich erinnerte mich daran, wie er mir beim Schnitzen zugesehen hatte.

"Nein, Haam, mach es langsamer. Nimm dir Zeit und mach dir Mühe, dann wird es dir besser gelingen. Respektiere sie, sonst wird sie dich nie respektieren."

"Aber, alter Vater, dies ist nur eine Statue…"

"Nur eine Statue ? Ja …Vielleicht. Aber sie stellt unser aller Mutter da, sie ist die Erde…"

"…Diejenige, die uns vor den Schatten beschützt, und die uns Wasser und Essen bringt, wenn wir hungrig sind. Sie beschützt mein Volk, sie hat uns alle geboren. Dies ist nur eine kleine Statue…aber sie erinnert uns daran, wer wir sind."

Ich erwachte aus meinen Gedanken, als seine Stimme erneut erklang.

"Du bist jetzt erwachsen Haam. Deine Schwestern haben mir von deinen Taten erzählt, weißt du das ? Ich bin stolz auf dich."

Tränen rollten aus meinen Augen, als ich seinen Gehstock aufhob und der Schamane mich aufforderte, seine Erinnerung weichen zu lassen. Die Toten können leichter in den Schoß der Mutter Erde zurückkehren, wenn sie von der Erinnerung der Hinterlassenen befreit sind. Dazu werden sie dem Feuer übergeben. Auf ihrem letzten Weg müssen ihre Gedanken klar sein, keine Frauen, keine Tränen. Ein wenig Erde, um dem Verstorbenen den Weg zu weisen, dann die Lieder, die ihn auf ewig verabschieden.

"Auf Wiedersehen, Väterchen, jetzt bist du auf der anderen Seite des Flusses mit meinen Eltern. Ich werde mit Freuden zu euch stoßen, wenn meine eigene Geschichte endet."

Schließlich flammte das Feuer auf, welches auf immer die Schatten vertrieb.